POP ALS VERWIRRSPIEL – “BLACK METAL” VON DEAN BLUNT (ORIGINALFASSUNG)

Mit seinem neuen Album „Black Metal“ treibt der Londoner Musiker Dean Blunt die Strategie der Publikumsverwirrung auf die Spitze.

Man darf sich Dean Blunt, der noch vor ein paar Jahren zusammen mit seiner Ex-Partnerin Inga Copeland das Duo Hype Williams bildete, als archetypische Underground-Figur vorstellen. Aus Strategien der Verrätselung und Chiffrierung, der Erwartungsenttäuschung und Überraschung besteht seine Methode, die gleichermaßen bei Live-Konzerten und Performances, Interviews und den verstreuten Musik-Veröffentlichungen samt Design und Titeln zur Anwendung gelangt.  

Dunkel und enigmatisch

So dunkel wie möglich blieben die Konzerthallen, die Dean Blunt auf seiner Mini-Europa-Tournee im Herbst 2013 bespielte. Besucher erinnern sich an Lichtverbot samt einem nur schemenhaft erkennbaren Dean Blunt mit Cowboy-Hut auf der Bühne. Einige seiner äußerst effektiven Song-Skizzen wurden mit ausufernden Gitarren-Soli verwoben und gestreckt, was sich trotz aller Vorbehalte sensationell gut anhörte. Zudem gab es einen weiblichen Gesangspart – und am Ende einige Verwirrung darüber, was nun tatsächlich „live“ gespielt oder „aus der Dose“ kam. Eine Frage, die Performance-Theoretiker nur langweilen kann, Pop-Musik-Hörer aber immer gerne beschäftigt.

Performance-technisch verhielt es sich zuvor bei seinen Konzerten mit Hype Williams nicht anders, nur dass dort dichter Nebel und Stroboskop-Blitze als zentrale Inszenierungsmittel fungierten. Sinn und Zweck des Einsatzes dieser Mittel blieb allerdings eher unklar. In dem Maße, in dem Dean Blunts Musik auf „The Redeemer“ (mit seinen Beziehungskisten-Chamber Pop-Skizzen eins der nachhaltigsten Alben des Jahres 2013) und „The Narcissist II“ (quasi die Horrorfilm-Version desselben Beziehungsdramas) immer zugänglicher wurde, umso enigmatischer gestaltete sich die Inszenierung – auch hinsichtlich der Tonträger und ihres Designs: So verzichten beide Alben auf die Nennung von Interpret und Album-Titel. „The Redeemer“ zeigt stattdessen eine Zeichnung von zum Gebet gefalteten Händen und das Cover von „The Narcissist II“ ziert der Titel „Proibito“ – Name eines Modeladens im Londoner Zentrum. Beim letzten Album von Hype Williams (übrigens ein Name, mit dem rund ums Millennium ein US-amerikanischer Musikvideo-Regisseur mit Clips für angesehene HipHop- und R&B-Acts bekannt wurde) gab es das Verwirrspiel auch schon: Statt des Albumtitels „Black Is Beautiful“ liest man das Wort „Ebony“ in dicken weißen Lettern auf rotem Grund. Jene, die mit schwarzer Kultur vertraut sind, wissen allerdings, dass Ebony eine Illustrierte für Afro-Amerikaner ist, die sich in den 70er Jahren das Motto „Black Is Beautiful“ zu eigen machte. Und für jene, die sich beim Kauf von physischen Tonträgern traditionell an Namen und Titeln orientieren, dürfte Dean Blunt vor allem Verwirrung stiften. Man sieht den Mann förmlich unter seiner Kappe grinsen…

Schwarzer Indie-Pop

Wer bei „Black Metal“ nun die Appropriation eines Sounds erwartet, den man bisher ganz und gar nicht mit dem Briten aus Londons Stadtteil Hackney in Verbindung brachte, liegt gänzlich falsch: Blunt macht nämlich schön da weiter, wo er mit „The Redeemer“ aufgehört hat. Auf der Text-Ebene bleibt es beim Confessin’ The Blues („Everybody says I’m wrong…“), und in musikalischer Hinsicht sind es immer noch äußerst effektive, den Songstrukturen von Pop-Songs angepasste Loops und Hooks, die in gut zwei Minuten ihre Ästhetik ausformuliert haben und dann von der nächsten, zündenden Idee abgelöst werden. Jene basiert mal auf eingängigen Melodien, mal auf komplexen, fast dysfunktionalen Beats, mal auf geschmackssicher geschnittenen Samples (u.a. von The Pastels), mal auf dem Einsatz unerwarteter Instrumente (Country-Gitarre, Saxophon, Dudelsack…) und meist auf einer merkwürdigen Dramaturgie aus Höhepunkten, tiefen Löchern und Abzweigungen. Getragen wird das Sound-Design diesmal allerdings von klirrenden Indie-Gitarren (a la Cocteau Twins) und krispen, aber unfunky 80er Drum Sounds. Und in der Album-Mitte stehen zwei ungewohnt lange Tracks, mit denen Blunt kompositorische Skills demonstriert: in „Forever“ schält sich aus dem Songformat ein Morricone-Epos mit zahlreichen harmonischen Layern heraus; in „X“ beziehen Drone, Duett-Gesang und Drum Pattern eine prog-musikalische Wohngemeinschaft. So wenig wie „Black Metal“ hier den Sound eines Genres meint, so wenig tun es die einzelnen Titel: Hinter „50 Cent“, „Heavy“, „Punk“ oder „Country“ verbergen sich Indie-Pop, Softpop, Reggae, elektronischer Free Jazz. „Black Metal“ ist aber nur der musikalische Teil eines größeren, Gesamtkunstwerk-artigen Zusammenhangs, zu dem eine groß angekündigte, gleichnamige Buchveröffentlichung sowie zwei Performances in Londons Cafe Oto („Free Jazz“) und im ICA („Urban“) gehören und die Blunt als konzeptionelle Black Music-Trilogie verstanden wissen will.

L’art pour L’art

Inwieweit sich Blunts aktuelle Arbeit als Meta-Musik oder als provokantes Jonglieren mit Signifikanten lesen lässt, bleibt in der Schwebe. Dass letztere noch eine wirksame Strategie ist, lässt sich allerdings bezweifeln. Ob im Punk und Postpunk oder in der elektronischen Tanzmusik der 90er Jahre – man erkennt in den Chiffrierungen eine Underground-typische Form der Abgrenzung nach Außen (Mainstream) und der Referenz für Dazugehörige und Eingeweihte. Diese Art der Distinktion konnte vor allem in einer Zeit Relevanz beanspruchen, in der es noch kein Internet und eine mächtige Musikindustrie gab. In diesem Kontext sollte sie den Künstler vor Vereinnahmung schützen und durch entsprechende Codierungen die eigene Zugehörigkeit zu einer Peer Group oder Community manifestieren. Im Zeitalter von Digitalisierung und Demokratisierung des Wissens ist der Zutritt zur Welt eines Dean Blunt allerdings auch für Bescheidwisser einfach zu haben – der Eintrittspreis ist nicht mehr an vergleichbare Erfahrungswelten oder verbindliche Haltungen geknüpft. Und entsprechendes Geheim-Wissen lässt sich relativ leicht abrufen und ins Spiel bringen lässt. So verkommt das Verwirrspiel der Signifikanten zur L’art pour L’Art, zur bloßen Underground-Geste – und wirft zu Recht die Frage auf: Was soll das Theater?

Dean Blunt: Black Metal (Rough Trade/Import)

NZZ, 27.11.2014