Hans Söllner Interview, Köln, 20.03.06 (Rohfassung)

„Es ist ja nicht beim Reggae geblieben, ich mach ja jetzt ganz was Anderes. Ich mache Reggaefolk, Folkreggae, ich mache einfach meinen Style. Das ist mir, glaube ich, ganz gut gelungen.

Was bedeutet für dich Rastafari?

„Das bedeutet schon viel für mich. Aber ich kann es natürlich nicht so leben wie die Rastas in Jamaika oder in der Dritten Welt, denn ich wohne einfach in einer anderen Welt. Ich lebe mit anderen Frauen zusammen. Ich kann nicht zu meinen Frauen sagen, dass sie einen Turban tragen müssen. Ich habe immer ein bisschen Probleme damit, die Rasta-Kultur und den Glauben zu erklären, weil diese Scheißreligionen immer so dogmatisch ausgelegt werden – so bin ich nicht. Ich suche mir aus den Religionen das Schönste raus und mache das, was für meine Kinder, für mich, meine Frauen, für euch alle gut ist zum Leben. Für mich gehört es nicht dazu, dass ich Schwule verfolge, das ist einfach nicht mein Plan. Trotzdem ist das Wort Rasta für mich ein schönes Wort, sodass ich meine Religion gerne unter diesen Schutznamen stellen würde. Da ist ein bisschen Buddhismus dabei, sicherlich auch Christentum – aber wie bei meinem Style in der Musik ist das mein Style von Religion. Der tut keinem weh, da gehört für mich Rasta und Marihuana dazu, aber eben auch der Respekt vor Schwulen und Lesben, Dicken oder Dünnen, Weißen oder Schwarzen, allen Lebewesen. Ich habe kein Interesse, mich bei Religion zu irgendwas zu zwingen, was ich eigentlich gar nicht will, dass ich Leute nicht mag, bloß weil sie anders aussehen.“

Ziehst du Vergleiche zwischen der Politik Jamaikas und Deutschlands?

„Überhaupt nicht, weil Politik ist auf der ganzen Welt gleich. Peter Tosh hat mal gesagt, Politik ist politricks, und genauso ist es. Die tricksen einander aus auf der ganzen Welt und bescheißen die Leute. Das ist wirklich völlig egal, ob das in England ist oder in Jamaika, auf Haiti oder in Bayern. Politiker haben bloß eins im Sinn.“

Hast du dir nicht mal überlegt, ohne Dialekt zu singen, um so auch mehr Leute zu erreichen?

„Ich kann nichts anderes, tut mir leid. Ich hab mir das schon oft überlegt, aber ich kann nichts anderes. Ich würde mich selber nicht ernst nehmen, wenn ich Englisch oder Hochdeutsch singen würde. Das ist nicht meins, nicht mein Style. Ich glaube, man sollte in der Sprache singen, in der man aufgewachsen ist, in der man schimpfen kann, diskutieren kann. (…)“

Du spielst verbal Politikern oft übel mit und musstest schon genug Gerichtsverhandlungen über dich ergehen lassen und horrende Strafen zahlen. Resigniert man da nicht irgendwann?

„Ich spiele Politikern nicht übel mit, sondern die Politiker spielen mir übel mit. Das ist ein ganz großer Unterschied. Ich wehre mich eigentlich nur, ich bin immer in dieser Verteidigungsposition gewesen, ich war nie der Sieger bei der ganzen Sache. Natürlich (kann man sagen) war ich irgendwo der Sieger, wenn so eine große Macht es nötig hat, so einen kleinen Arsch wie mich zu verfolgen. Da ist man automatisch Sieger. Aber wenn du erstmal 150.000 Euro verlierst, weil du drei Sätze gesagt hast in 15 Jahren… Es ist definitiv so, dass ich keinem übel mitspiele sondern umgekehrt, und dass ich versuche, nicht mit Waffengewalt, Entführung oder Androhung von Bombenattentaten, sondern verbal mich zu wehren. Das ist alles, was ich tue, das muss man mir zugestehen in einer Demokratie.“

Auch Auftrittsverbote gehören dazu, speziell in Bayern. Was sind die Gründe?

„Ich kann dazu nur sagen, geh in ein Versuchslabor und versuch dort zu filmen – du wirst dafür keine Erlaubnis kriegen. Anders ist es auch nicht bei mir, ich hab damit keine großen Probleme. Wenn ich ein Auftrittsverbot kriege, ist das für mich eine Ehre. Denn diejenigen, die das bewirken, haben einfach nur Angst vor der Wahrheit.“

Was muss sich in Deutschland ändern, angefangen bei der Ausländerpolitik bis hin zur Drogenpolitik?

„Ich glaube, dass wir alle, nicht nur die Politiker oder die Polizei, wieder mal anfangen sollten auf die Langsamen zu warten. Und wir sollten vor allem der heranwachsenden Generation nicht lehren, in der Schule einen Atlas aufzubauen, damit der Andere nicht ins Heft gucken kann. (…) Wenn dein Nachbar Probleme hat, dann hilf ihm verdammt nochmal. Denn du hast später gar nichts davon, wenn es da draußen nur Blöde gibt. Die Blöden lassen sich das nicht lange gefallen, immer nur die Blöden zu sein. Das ist ganz gefährlich, wenn man so agiert auf dieser Welt und so eine Politik macht, dass es 98 Prozent Blöde gibt und zwei Prozent regieren die Blöden. Irgendwann mal reicht es den Blöden und dann werden sie irgendwelche Revolutionen anzetteln.
Es muss sich nichts an Deutschland ändern, wir müssen uns ändern. Wir müssen unseren Kindern wirklich beibringen, dass es wichtig ist, dass es Langsame, Schwache, Dicke gibt. Sie müssen lernen, nicht überall mitzumachen, wo der Dicke ausgelacht wird. Es gibt in Deutschland mehr Übergewichtige als Normalgewichtige. Die Kinder können nichts dafür, die werden so ernährt, die können sich nichts anderes kaufen.
Es geht ums Geld, es geht um die Politik und ihre Macht. Und daran wird sich nichts ändern, wenn wir uns nicht ändern. Wir müssen auf die Langsamen warten und unseren Kindern zeigen: es ist schön, heute macht der Papa mal blau, frühstückt mit dir bis 10 (Uhr) und dann geht er erst arbeiten – solche Kleinigkeiten (…) sind ganz wichtig.“

Du erreichst mit deinen Konzerten viele Leute, die deiner Meinung sind. Wäre es da nicht auch möglich, politisch in Bayern was zu erreichen? Könnte man nicht durch Unterschriftenaktionen die Massen in Bewegung setzen?

„Überhaupt nicht, das habe ich alles probiert. Ich habe versucht 100.000 Unterschriften zu sammeln für die Legalisierung von Hanf. Bei meinen Konzerten höre ich die Leute schreien und gröhlen ‚Marihuana – legalize it’, und dann habe ich in vier Jahren gerade mal 6.000 Unterschriften zusammen bekommen. Da bin ich ja 85, bis ich alle zusammen habe. Da rauch ich’s lieber so und sage Scheiß drauf. So ist das eben. Du kannst die Leute nicht dazu bewegen, sich wirklich unmittelbar zu betätigen. Die meisten haben auch noch nicht das Gefühl, dass sie unmittelbar schon betroffen sind. Obwohl sie soviel Schulden haben, sind sie immer noch nicht unmittelbar davon betroffen, sie sitzen immer noch in Wohnungen. Aber lass erstmal die Städte so richtig verslummen, dann haben wir (…) unsere Revolution.“

Mit dir assoziiert man hauptsächlich Themen wie Kampf gegen Obrigkeit und für Freigabe leichter Drogen nicht zuletzt durch Medienberichterstattung. Demgegenüber fällt die Auseinandersetzung mit deiner Musik zurück. Nervt das nicht auch ein bisschen?

„Damit habe ich kein Problem. Ich habe was zu sagen, manchmal singe ich es, manchmal sage ich es. Traditionell bin ich mehr ein Geschichtenerzähler, und ich habe gemerkt, dass die Musik gut ankommt. Ich mache ja auch verschiedene Sachen, mal spiele ich mit Band, manchmal ganz allein, manchmal mit Dennis am Bass. Ich mache, was ich mache, und jeder soll sich daraus raussuchen, was für ihn okay ist. (…) Ich geh nicht mit einer Erwartung auf die Bühne, sondern weil ich was zu sagen habe, weil ich mich mitteilen möchte. Im weiteren Sinne bin ich wahrscheinlich ein Exhibitionist oder wie auch immer man das bezeichnen will. Auf der anderen Seite ist das für mich, für mein Leben, wichtig, was ich mache. Weil ich dadurch ganz viel von meinem Ärger, von meinen Ängsten, von meinen Sorgen, von meiner Wut, von meiner Trauer abbauen kann in den Liedern. Und
wenn ich merke, die Leute sind aufmerksam, ab und zu weint sogar Einer, dann weiß ich, ich liege richtig mit meiner Sache.“

Vom Rastafarianismus nimmts du dir einen Teil, den du gebrauchen kannst. Den Eindruck hat man ja auch bei deiner Musik. Der Einfluss ein bestimmten Epoche, von Bob Marley und Roots Reggae spielt eine große Rolle in deiner Musik, während andere Aspekte von Reggae ausgeblendet sind. Würdest du dich als Teil der Reggaekultur in Deutschland verstehen?

„Es gibt bloß eine Kultur. Es gibt keine E-Kultur und keine Hardrock-Kultur, sondern nur eine Kultur. Und in dieser Kultur sind dann verschiedene Stilrichtungen unterwegs. Das gehört zu demselben Teil. Und im schwarzen Teil der Erde sind andere Rhythmen unterwegs, und mir haben die Rhythmen einfach gut gefallen.
Was ist Reggae? Reggae ist ein Lebensgefühl, und das Gefühl habe ich einfach. Egal, welche Musik ich auch mache. Ich mache Folkreggae, ich bin nun mal kein Schwarzer, ich bin nicht damit aufgewachsen, dass mein Vater mir sagt, was mein Heartbeat ist. Ich bin anders aufgewachsen, deswegen muss ich das anders verarbeiten. (…) Ich bin Teil der Kultur, aber ich bin sicherlich kein Teil der Reggaekultur. Wenn ich morgen Folk spiele oder ein paar Stücke, die sind reiner Folk und haben mit Reggae gar nichts zu tun, dann bin ich auch nicht ein Teil der Folkmusik. Ich bin einfach ich, ganz banal. Neulich habe ich einen Boogie geschrieben. Das hat weder mit Folk noch mit Reggae zu tun. Ich mache Musik, die mir Spaß macht. Ich bin in einer Zeit groß geworden, wo das Spektrum viel breiter war als heute. Vor 35 Jahren, als ich in der Pubertät war, haben wir andere Musik gehört, das waren nicht zwei Griffe, die runtergeschrubbt wurden über 45 Minuten plus irgendein Elektronik-Schlagzeug dazu, sondern das war einfach Musik für mich. Und aus dieser Zeit komme ich. Davon habe ich meinen Teil mitgebracht und es dann später gemischt mit meinen Idolen: Dylan, Marley, ein bisschen Johnny Cash. Und das ist halt, was mein Style ist. Heute vergleicht man mich auch nicht mehr mit Bob Marley oder Johnny Cash, sondern sagt: das ist Söllner. Was will man mehr erreichen? (…)“

Auf der Bühne hast du dann aber den Lion of Judah als Dekoration, die Rastafarben – das spielt aber schon damit rein, oder hat das für dich noch eine andere Bedeutung?

„Es ist ja Teil von meiner Religion. Und ich muss dazu sagen, dass ich mir nicht unbedingt nur den lockeren Teil von meiner Religion raussuche, sprich: ich baue zuhause Marihuana an und gib mir ab und zu die Dröhnung. Ich bin durch die Religion (…) zum Vegetarier geworden und habe auch über die Religion das Tabakrauchen aufgehört, weil ich das mit der Religion nicht mehr vereinbaren konnte. I and I, also ich und ich, wir sind das Wichtigste, da kann ich nicht jeden Tagen 40 Zigaretten rauchen, jeden Tag anderthalb Liter Wein in mich reinschütten, und auch das Fleischessen habe ich nicht mehr vertreten können.
Und natürlich ist der Lion of Judah, der siegreiche Löwe von Judah, für mich ein Symbol. Aber nicht im Sinne eines Siegs über das Volk, sondern im Grunde der Sieg mich selbst beeinflussen zu können, dass ich das alles hinkriege. Das ist erstmal ein superschönes Symbol, auch diese Farbzusammenstellung von gelb wie die Sonne, rot wie das Blut, grün wie das Land, auf dem wir leben – das passt einfach zu meiner Einstellung zu Bayern, zu meinem Land, zu meiner Heimat, zu meinem Heimatgefühl. Und somit hat sich das einfach ganz gut vermischt für mich.
Ich möchte nur nochmal betonen, dass ich das nicht nur locker sehe, sondern dass es für mich etwas bedeutet. Wenn ich zuhause bin, rauche ich zum Beispiel gar nicht, ich rauche nur in Verbindung mit dieser göttlichen Gabe, dass ich Musik schreiben kann, dass ich Texte schreiben kann und dass mir ein paar Leute zuhören – dann rauche ich, sonst nicht. Das nur, damit man weiß, dass es nicht nur ums Kiffen geht und um die Legalisierung, sondern es geht um die Legalisierung von Freiheit und Gleichberechtigung. Und da gehört das dazu, dass du halt ein Bier trinkst und du einen Rotwein und ich mag halt ab und zu einen Spliff rauchen.“