Ennio Morricone – The Hateful Eight Soundtrack (Originalfassung)

 

In seinem Soundtrack-Spätwerk hat Morricone Aspekte wie Sound, Experiment und größtenteils auch Pop hinter sich gelassen, um sich stur auf die Macht des Orchesters und seiner Klangfarben zu konzentrieren. Wer nun, wie wahrscheinlich Tarantino, der sich beim Recycling von altem Morricone-Material immer als hervorragender Selector erwies, gehofft hatte, dass sich dies bei „The Hateful Eight“ (dem erstmalig eigens von Morricone FÜR einen Tarantino- Film komponierten Score) ändern würde, wird eher enttäuscht. Morricones raffinierte Spaghetti Western-Arrangements voller Esprit, Witz und Drama sind passé. Bei Tarantinos Schnee-Western setzt Morricone fast ausschließlich auf den Klangkörper des Czech National Symphony Orchestra – gestattet sich aber die eine oder andere Ausnahme und hier und da ein kurzes Selbstzitat. Auch unbenutzte Teile aus Morricones Filmmusik für „The Thing“ und „The Heretic – Exorcist II“ finden Verwendung. Im Opener „L’Ultima Diligenza di Red Rock“, einem der beiden zentralen Motive, die Morricone hier auf gut 50 Minuten ausbreitet, variiert und miteinander verschränkt, gibt es im Hintergrund eine stoisch voran schreitende Bassdrum und zischelnde Hi-Hats; irgendwo anders spielt ein „Synth“ eine untergeordnete Rolle; das von Giallo-Scores bekannte Glockenspiel wechselt hier augenzwinkernd das Genre. Am deutlichsten ist aber die kompositorische Referenz an die Crime- und Polizeifilme der 70er und 80er Jahre, denen Morricone einige unerbittliche Scores schenkte. Deren unausweichliche Atmosphäre ist hier vorherrschend, der Ton ist dunkel, die Stimmung ernst. In den Tiefen rumort das Fagott, in den oberen Regionen spitze Streicher a la Bernard Herrmann. Dennoch ist hier nichts knallig, nichts irritierend und dadurch außergewöhnlich. Es mag an der bravourösen Bravheit des Orchesters, Altersmilde oder der Abmischung (vermutlich letzteres) liegen. So entfalten sich Morricones grandiose Themen eher unterschwellig, fast werden sie von einer für zeitgenössische Filmmusik typischen Klangsprache, deren ultimativer Horizont Mood, Ambient und Drones sind, übertüncht. Die Musik lässt einen Szenen aus dem Film imaginieren, auch wenn man ihn gar nicht gesehen hat. Aber sie bringt einen nirgendwo anders hin. Insofern wäre Morricone erst in seinem Spätwerk tatsächlich ein Funktionalismus gelungen, dem sich der Maestro in seiner goldenen Ära so überaus erfolgreich widersetzt hat.

 Spex Nr. 367 März / April 2016