Aufstand gegen die Zeichen. Samuel Fullers Tote Taube in der Beethovenstraße/Dead Pidgeon on Beethoven Street (WDR, 1973)

von Olaf Karnik

“Amerikanischer” Tatort – fremdes Deutschland?
Nach der Erstaustrahlung von “Tote Taube in der Beethovenstraße” am 7. Januar 1973 in der ARD (der erste Tatort in deutscher Synchronisation – zwecks internationaler Vermarktung hatte Fuller in Englisch gedreht!) erntete der Film bei Zuschauern und Fernsehkritik wenig Lob. Schon vor der Ausstrahlung entschuldigte sich der Fernseh- Sprecher im Auftrag des WDR dafür, dass dieser Tatort trotz deutscher Kulisse ein eher amerikanischer Film geworden sei und erklärte: “Wir zeigen ihn trotzdem.” Die NRZ vom 9.1.73 sah ein “Chikago am Rhein” und berichtete, dass während der Sendung 60 bis 70 Zuschauer beim WDR angerufen haben, weil sie die Handlung nicht verstanden. In der “Welt” fragte Ekkehard Böhm: “Woran lag es, dass ein so seltsam ungereimter Film voll innerer Brüche zustande kam? Merkwürdig hölzern wirkten die Schieß- und Prügelszenen, unglaubwürdig die Gestalten im deutschen Milieu. (…) Wie amerikanisch dieser Film war, spiegelte sich auch in der Besetzung wider: die Darsteller waren importiert, an der Spitze der Westernheld Glenn Corbett. Und das Lockvögelchen Christa Lang aus Essen ist – Fullers Ehefrau. Fuller müssen diese Widersprüche aufgegangen sein, denn er wich aus in die Ironie, schließlich in die böse Karikatur.” Und die FAZ behalf sich bei der Einordnung dieses ungewöhnlichen Tatorts erstmal damit, dass sie Fullers bekanntes Credo zitierte: “Film ist ein Schlachtfeld: Liebe, Hass, Gewalt, Aktion, Tod, mit einem Wort: Emotion”, um dann festzustellen, dass “die Serie eher Fuller nivelliert hat, als dass es dem amerikanischen Routinier gelungen wäre (…) eine besonders überzeugende und originelle Variante zu bieten. (…) So hatte er seine, im Grunde universelle Geschichte eines Politiker mit kompromittierenden Fotos erpressenden Syndikats nur noch in die besondere Umgebung von Bonn und Köln zu integrieren. Exakt das gelang aber kaum…, der gewählte Schauplatz verlor nur selten den Charakter der Beliebigkeit. Irritierend waren vor allem die vielen, retardierenden Passagen in Fullers Film. Abgesehen von der Anfangs- und Schluss-Sequenz (…) war der übrige Film merkwürdig schleppend inszeniert. Zwar erkannte man das Bemühen um Verhaltensstudien, aber keiner der Charaktere hatte so viel Vielschichtigkeit, dass dieser eminent ausgedehnte Versuch der Psychologisierung plausibel geworden wäre. (…) Fullers Problem war diesmal, dass er (…) mit der für ihn fremdartigen deutschen Mentalität nichts Rechtes anfangen konnte.”
lauter Beobachtungen, die auf den ersten Blick zutreffen. Zweifelsohne scheiterte Fuller hier am Tatort-Format. Der damals für den WDR-Tatort zuständige Kölner Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp) spielte sogar nur eine auf wenige Minuten begrenzte Nebenrolle
die Lösung des Falles hatte Fuller seinem amerikanischen Detektiv Sandy (Glenn Corbett) überlassen. Und die Tatort-typische Spiegelung bundesdeutscher Realität wollten Zuschauer und Kritik bei Fuller auch nicht entdecken. Kein deutscher Film also, aber auch kein US-Krimi – denn Spezifika wie spannende Story, kulinarische Action- Szenen, psychologisch plausible Charakterzeichnung, authentische Milieuzeichnung wurde Fuller auch kaum gerecht. Als Hollywood-Outcast und von der europäischen Filmkritik als Autorenfilmer identifiziert, hatte Samuel Fuller anderes im Sinn, als Formate zu bedienen oder Genre-Definitionen zu entsprechen.
Eine Lesart in der Süddeutschen Zeitung schien Fullers Intention zu realisieren: “Samuel Fuller kümmerte sich nicht um deutsche Fernsehgesetze, er drehte einen Film, der ihn persönlich interessierte. (…) Dabei entwickelte sich die alte Fuller-Story von zwei vom Verbrechen gezeichneten Menschen, die das Verbrechen zueinander bringt und deren Liebe schließlich auch am Verbrechen scheitert. (…) Fuller verschränkte konsequent ein rasantes äußeres Geschehen mit einer menschlichen Tragödie. Er filmte – und das ist bei diesem Genre im deutschen Fernsehen bisher nicht sehr oft gelungen – mit großem Ausdruck Dialoge, Blicke, Beiläufigkeiten und Höhepunkte eines Falles…”
Intensitäten von Atmosphären, Stimmungen – wer sich bei “Tote Taube in der Beethovenstraße” nur auf die schwer nachvollziehbare Handlung konzentriert, verpasst das Wesentliche. Fullers Film ist durch einen extrem elliptischen Erzählstil
gekennzeichnet. Durch bloße Andeutungen, zahlreiche Auslassungen und verwirrende Anschlüsse etabliert der Regisseur eine Erzählstruktur der Brüche, Fragmente und Passagen, die den Zuschauer nicht zum Gefangenen von plot und suspense machen will, sondern andere Aufmerksamkeiten erzeugen will: Orte, Landschaften und Physiognomien; Räume, Situationen, zwischenmenschliche Beziehungen. Und wie all das von Geschichte, Funktion, Ordnung und Macht gezeichnet ist. In den Dialogen von Fullers Figuren zeigt sich die Auflösung von Kommunikation in Codes, in deren Blicken die Sehnsucht nach Befreiung davon. Und in den Beiläufigkeiten offenbart sich der Aufstand gegen die Zeichen. Echt/unecht, wirklich/unwirklich: Aus dieser Bipolarität enwickelt sich die Spannung und dramatische Handlung in “Dead Pidgeon…” Konsequent bis ins Detail konstruiert Fuller daraus zahlreiche Oppositionen: Zeichen vs. Authentizität, Fremdbestimmung vs. Autonomie, allgemein vs. besonders, Zweckrationalität vs. erruptive Emotionalität…

Zitate, Referenzen, Verweise
Fuller integriert Original-Ausschnitte aus anderen Filmen (eine Saloon-Sequenz aus “Rio Bravo”; eine Szene mit Christa Lang als Prostituierte aus Godards “Alphaville”), verweist auf berühmte Film-Szenen (Duschszene in “Psycho”; der in einen Kriminalfall verwickelte Fotograf in der Dunkelkammer aus “Blow Up”) und zitiert die Filmmusik aus “Die Brücke am Kwai” – die einmal als Erkennungszeichen gepfiffen wird. Schließlich engagiert er mit Stéphane Audran eine Ikone des europäischen Autorenfilms für einen komplett überflüssigen Gastauftritt in der Rolle des Dr.Bogdanovich (wie der amerikanische Kult- Regisseur Peter Bogdanovich!). Solche Gastauftritte, Referenzen und Zitate waren in den 60er und 70er Jahren im Autorenfilm üblich – bei Fuller dienten sie aber nicht allein dem guten, intertextuellen Zweck, auf die Relevanz von “Filmgeschichte” hin zu weisen bzw. distinguierten Genuss zu verschaffen. Eher übernehmen die Zitate und Referenzen eine wichtige inhaltliche Funktion. So enttäuscht Fuller mit seiner Anspielung auf die berühmte “Psycho”-Sequenz bewußt entsprechende Suspense-Erwartungen: Unter der Dusche wird Sandy überwältigt, kein Messer, kein Blut, lediglich ein paar Hiebe, und im Anschluss ein Verhör. Als wollte Fuller demonstrieren, dass es ihm auf Schockwirkung gerade nicht ankommt. Und den kurzen Ausschnitt aus “Alphaville” mit Christa als Prostituierter verwendet Fuller als visuellen Beleg für ihre gegenüber Sandy geäußerte Selbstkritik, dass sie immer nur eine Schauspielerin gewesen sei. Damit verdoppelt Fuller ihr Rollenspiel – und betont ihre “unechte” Identität. Auch bei Sandy, der Auschnitte aus “Rio Bravo” im Kölner Lupe-Kino sieht, dient das Zitat zur Charakter-Zeichnung. Die rauhen Gebärden der Cowboys und die Entladung von Spannung in Gewalt entlocken dem amerikanischen Detektiv authentische Reaktionen: Lachen, Grinsen, Freude. Auf diese Weise wird Sandy als “Echter” gekennzeichnet – und als Identifikationsfigur etabliert.
Auch auf der symbolischen Ebene der Zitate und Referenzen offenbart sich der Antagonismus, aus dem sich Fullers Tragödie speist: Subjektivierung und Individuation erfolgen immer schon anhand vorgelebter Handlungen, Erfahrungen und Sinngebungen anderer, die in symbolische Formen geronnenen sind. Die Zeichen, die nicht weichen.

Orte, Räume, Plätze
Auf der Suche nach Drehorten an Rhein und Ruhr findet Fuller Schauplätze, die ihm von Filmaufnahmen weitgehend unberührt erschienen. Dazu gehört die “neue Hauptstadt” Bonn, speziell Beethovens musealisiertes Geburtshaus. Fuller, der die Story angeblich erst nach Besichtigung der Drehorte geschrieben hat, ging es bei der filmischen Eroberung dieser Orte um eine “Anzahl beispielloser Erstmaligkeiten für die Deutschen”. Das Bonner Beethovenhaus “entweihte” Fuller, indem er es als Ort quasi-sexueller Handlungen zeigt: Mit eindeutiger Absicht spricht Sandy dort ein junge Frau an, die darauf erwidert: “Mich anzusprechen wie eine Hure! In dieser Weihestätte! Beethoven!” Desweiteren zählten zu den “verbotenen Aufnahmeorten”: ein Krankenhauszimmer, in dem neugeborene Babies liegen und wo Fuller gleich zu Beginn des Films eine Schießerei stattfinden läßt; der Kölner Straßenkarneval, wo Detektiv Sandy gegen Ende seinen als Clown verkleideten Widersacher Charlie Umlaut erwürgt; Krupps Lokomotiv-Fabrik in Essen, wo dem vom Syndikat als Lockvogel angesetzten politischen Vertreter Chinas nachkriegsdeutsche Modernität demonstriert wird; schließlich ein Sex Shop auf der
Kölner Hohe Straße, in dem Christa einen affektierten Tanz mit Stéphane Audran vor Publikum aufführt. Die gegen-den-Strich-Verwendung dieser Orte (Beethovenhaus als Kontakthof, Mord im Karneval usw.) verstand Fuller als Übertretung symbolischer Ordnung. Ähnlich verfährt Fuller im kunstgeweihten Bahnhof Rolandseck, wenn er dort zwischen Klavierflügel und Gemälden eine Schießerei stattfinden läßt, oder im auf offizielle Staatsempfänge abonnierten Hotel Petersberg am Rhein, wo Sandy und Christa einen afrikanischen Politiker korrumpieren.
Eine subtilere Form der Um- bzw. Re-Codierung wählt Fuller an Orten, die schon Anfang der 70er Jahre als touristische Klischees galten: Den wolkenverhangenen Drachenfels in Königswinter filmt er als Caspar David Friedrichsche Gefühlslandschaft (mit Sandys und Christas Liebesdialog im Off) – und wiederbelebt so die romantische Aura, die der Ort längst verloren hat. Und das “heilige” Glockenläuten des Kölner Doms überführt er mit einem grandiosen Mix in die damals hochmoderne, polyrhythmische Architektur der Kölner Gruppe Can.
Fullers ästhetische Methode der Neu-Codierung von Orten, Räumen und Plätzen will nicht einfach “Schauplätze wählen” oder etwas “als Kulisse verwenden”. Es geht darum, das Allgemeine des Ortes zu besondern, seine Symbolhaftigkeit zu durchkreuzen, seine festgelegte Ordnung, Bedeutung und Funktion zu erschüttern. Unvertrautes schaffen: Deswegen geht von den bekannten Orten in Fullers Film auch eine irritierende Leere aus. Sie stehen nicht mehr für das, als was sie gelten. Die Frage ist also nicht, ob die bundesdeutsche Wirklichkeit getroffen ist, sondern: Welche Wirklichkeit zeichnet Fuller?

Codes, Chiffren, Masken, Rollen
“Anweisungen: chiffriert. Ich hab sie entschlüsselt”, sagt Christa einmal. “Sie sind nicht das, was sie zu sein vorgeben”, bemerkt Mr. Novak, ein potentielles Erpressungsopfer, zu ihr auf der Rheinschifffahrt. Bevor Christa für das Syndikat arbeitete, war sie Schauspielerin. “Mein ganzes Leben war immer nur, so tun als ob. Jetzt sind meine Rollen erfassbar. Sie sind echt”, erkennt sie beim romantischen Tête à Tête mit Sandy auf dem Drachenfels. Aber es sind immer noch Rollen. Christa beherrscht mehrere Fremdsprachen, um mit den zu ködernden, ausländischen Politikern als “Raconteuse” Konversation zu betreiben. Mehrmals zeigt sie Fuller beim Einüben: Auch Sprachen sind Rollen, in die man schlüpfen kann. “Vorsicht! Vergiss nicht, was dir beigebracht worden ist: Immer halten. Immer und überall halten”, empfiehlt Stéphane Audran ihr beim Tanz im Sex Shop. Das ist die zentrale Devise des Films. Haltung bewahrt wird auch in Mensurs Fechtschule, der Zentrale des Syndikats, für das Christa arbeitet. Fechtkampf fungiert als Metapher für den kalten Krieg, den hier alle gegen alle führen: kultivierte Gewalt, nach Spielregeln, mit Masken. Und dieser kalte Krieg, den die Weltpolitik spielt, bietet Fullers Figuren die Legitimation für ihre gepanzerten Verhaltensweisen und codierten Kommunikaktionen: “Wie haben Sie ihn dazu gekriegt, mit zu machen?”, fragt Sandy, und Christa antwortet: “Hat Nixon Moskau erzählt, was er von Peking bekommen hat?” Sogar in dem Moment, wo individuell-authentisches Liebesgefühl artikuliert wird, kann dies nur mit metaphorisierender Bezugnahme auf politische, historische oder kulturelle Rahmenbedingungen geschehen: “Ich bin nicht religiös, aber wie kann ich an etwas glauben, wenn Gottes Gunst immer zu gewinnen ist, sei es durch Hass, Gewalt, Lügen. Ich bin kein Barbar, wie die in den Kreuzzügen, wo sie für ihren Christus sogar nackt gingen und Menschenfleisch vertilgten. Aber selbst angesichts der Kreuzzüge, ja, selbst angesichts der Kreuzzüge, so wahr mir Gott helfe, sage ich dir: Ich lieb dich, Sandy. Verzeih mir, dass ich so eine bin.” (Christa).
Fullers Protagonisten sprechen in Codes und Metaphern, sie entschlüsseln Chiffren, spielen Rollen, tragen Masken – und sind gefangen in symbolischen Verhältnissen, die überindividuelle Ordnungen repräsentieren. Für diese Wirklichkeit findet Fuller auch deutliche Bilder und Zeichen: Einmal zeigt Mensur, der Chef des Verbrecher-Syndikats, Christa und Charlie Umlaut Dias von Mao und Mr.Fong, dem nächsten Erpressungsopfer. Christa stellt sich vor die Leinwand: Im Lichtstrahl des Projektors wird ihr Gesicht von Mr.Fongs überdeckt. Auch körperlich sind Christa und Sandy von der Macht “gezeichnet”: Sandy trägt eine Tätowierung auf dem Oberarm, und Christas Erdbeer-Muttermal fungiert nicht nur als Erkennungszeichen, sondern als fleischgewordene Dienstmarke.
Erst die authentische Erfahrung der Liebe zu Sandy veranlasst sie zu der Idee, das Mal
entfernen zu lassen. Sandy aber möchte, dass sie es behält. In solchen beiläufigen Dialogen wird die Illusion des Wunsches nach einem Jenseits der bestehenden Ordnung thematisiert. Sandys und Christas latente Sehnsucht nach Autonomie und Authentizität wird durch das Wissen um die eigene Fremdbestimmung jedesmal konterkarriert. “Ich bin versaut, und sie ist ein Schwein”, bemerkt Sandy gegenüber Kressin. Die daraus resultierende Verhaltenslogik ist Taktik: Jede Begegnung und Begebenheit wird danach eingeschätzt, ob sie als Mittel zum Zweck dient.

Ich + Ich + die Wirklichkeit
Sandys Job ist, ein gefälschstes Foto zu beschaffen, das den gegen Nixon antretenden, amerikanischen Präsidentschaftskanditaten mit Christa in eindeutiger Pose zeigt. Das Syndikat erpresst Politiker, indem sie betäubt, d.h. ihrer Wahrnehmung beraubt und dann in gestellter Szene mit Christa im Arm fotografiert werden. Sandy schleicht sich in die Organisation ein und spielt mit, um an das Foto zu gelangen. Schon Fullers Plot spielt mit der Idee einer inszenierten Wirklichkeit, die aber äußerst reale Effekte zeitigt. Was ist die Wirklichkeit?
Fotos geben nicht die Wirklichkeit wieder, sondern sind gestellt und manipuliert. Orte, Räume, Plätze erscheinen nicht als das, wofür sie stehen: unwirklich. Schockierende Szenen aus der symbolischen Wirklichkeit (z.B. “Psycho”) werden bagatellisiert, andere (Christa in “Alphaville”) wiederum als Echtheits-Beleg für Unechtes heran gezogen.
Menschen sind den Wirklichkeitsdefinitionen der Macht unterworfen – sie agieren in Rollen, Masken, Taktiken und Codes. In die umgestülpte Welt des karnevalistischen Schauspiels bricht das “reale” Reale ein: ein Mord geschieht.
Wo Wirklichkeit als totale Inszenierung und Identität als fremdbestimmt erscheint, fragt Fuller: Wie ist Authentizität – als Begründung eigener Wirklichkeit – noch möglich? Durch die Latenz von Liebe und die Eruption von Gewalt. Doch die Konstellation ist pervers.
Liebe berührt die Ordnungen der Wirklichkeit gefährlich, durch sie wollen Fullers Figuren “ins Reine kommen” und aussteigen. Liebe entkleidet. Ohne Masken und Kostüme geraten Christa und Sandy in den Karnevalszug, wo Sandy den als Clown verkleideten Charlie Umlaut erwürgt. Von nun an werden die Masken herunter gerissen, die Spielregeln gebrochen, die Bilder zerstört. Von Mensur zum Fechtduell auf Leben und Tod heraus gefordert, geht Sandy mit dem gesamten Waffen-Arsenal auf den Syndikats-Chef los und schlachtet ihn schließlich mit einer Axt. Mit dem gesuchten Foto kann Sandy fliehen, wird jedoch plötzlich von Christa verfolgt und angeschossen. Auch sie will das Foto. Zu seiner Exekution bereit, rollen ihr Tränen über das Gesicht, während sie im Stechschritt über die Beethovenstraße schreitet. Schon auf dem Boden, erschießt Sandy Christa in Notwehr. In zwei kurzen Einstellungen zeigt Fuller, wie das Bild ihres Gesichts zerspringt – wie ein Foto, das auseinander gerrissen wird.
Wo sich auch Liebe als trügerisches Bild entpuppt hat, scheint das Töten als einzige authentische Wirklichkeits-Erfahrung übrig zu bleiben. Es meint, was es tut – und ist endgültig. Zwar aus Notwehr, geschieht jedoch auch das Töten im Zeichen einer Ordnung. Deswegen gibt es in der Beethovenstraße nur tote Tauben – geborene Verlierer auf der Suche nach Authentizität; solche, die nicht mehr gewinnen können im Aufstand gegen die Zeichen. Und deswegen zeigt die letzte Einstellung in Fullers Film das Straßenschild, unter dem 1 toter und 1 schwerverletzter Körper liegen: Beethovenstraße.
Anmerkungen

 

zit.n. Eckhart Schmidt: Samuel Fullers amerikanischer Tatort, in: Süddeutsche Zeitung, 9.1.1973.
vgl. Marlis Haase: Chikago in Bonn, in: NRZ, 9.1.1973.
Ekkehard Böhm: Ein Amerikaner filmt Deutschland, in: Die Welt, 9.1.1973.
Krimi in Bonn, in FAZ, 9.1.73.
Eckhart Schmidt…, in: Süddeutsche Zeitung, 9.1.73.
vgl. Samuel Fuller im Interview mit Herman Weigel. Dead Pidgeon on Beethoven Street, in: Filmkritik, Nr. 193, Januar 1973, S. 33f.
vgl. hier und im Folgenden Fullers Erfahrungen bei den Dreharbeiten unter dem Titel “Beethovens Geburtshaus als Filmstudio”, in: Stuttgarter Zeitung, Nr.3, 4.1.1973.
Für “Tote Taube…” haben Can den Track “Vitamin C” von der LP “Ege Bamyasi” neu bearbeitet. In vielen verschiedenen Auschnitten ertönt die neue Version des Stücks im Film, allerdings nie ganz.
Dead Pidgeon bedeutet im amerikanischen Slang jemanden, der nicht gewinnen kann, einen geborenen Verlierer – erklärt Samuel Fuller im Interview. Vgl. Filmkritik, Nr. 193… S.29.