Think Negative! – die „Kraft der Negation“ in Köln (Originalfassung)

Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass man mit Kunst, Musik, Theater, Literatur oder außerparlamentarischer Opposition die Welt verändern wollte. Selbst bei der Totalverweigerung von Punk glitzerte dieser Anspruch. Heute trägt ein Vorzeige-Produkt der Kulturindustrie einen Namen, auf den früher eine Krawall-Band gehört hätte: No Angels. Sind Alternativen zur Affirmations-Kultur und pragmatischen Real-Politik noch vorstellbar, die sich nicht einer Ästhetik oder Politik der Zerstörung verschreiben? Das Begehren danach liegt scheinbar in der Luft liegt, und so wagte ein von Diedrich Diederichsen für „Theater der Welt“ kurartiertes, thematisches Wochenende im Kölner Schauspielhaus eine Bestandsaufnahme zur „Kraft der Negation“ in Kunst und Politik.

Die Negation als verbindendes Element: dass vor jeder Politisierung eine Negation bestehender Umstände stehe, und dass die transgressiven Gesten der Kunst immer auf eine gewisse Weise befruchtend für emanzipatorische Projekte in der Politik gewesen seien, stellte Diedrichsen im Vorfeld klar. Heute aber, so Diederichsen, wäre z.B. Punk nur ein musikalischer Kult unter anderen sowie eine Frage des Designs. Und die bildende Kunst habe es sich scheinbar in einer postnegativen Phase gemütlich gemacht. Die politische Lage seit dem 11. September zeichnete die französische Theoretikern Chantal Mouffe im Anschluss als „post-politisches Framework“ – eine Situation, in der politische Fragen wie technische Probleme behandelt werden, die angeblich nur von Experten zu lösen sind. Als Legitimation dienten nun nicht mehr politische, sondern moralische Kategorien – der „Us-and-them-Antagonismus“ sei einer neuen Frontstellung gewichen: Wir und das böse Andere.

Hat die Negation also noch eine Chance, und wie spricht, tönt und schaut sie aus? Negative Musik wie Death Metal, Stücke von Lou Reed, Helmut Lachenmann, Terre Thaemlitz und Throbbing Gristle brachte das in Berlin ansässige Ensemble Zeitkratzer am ersten Abend in einen zwingenden Aufführungszusammenhang, den es sonst nicht gibt, da die einzelnen Musikszenen verschlossen und unverbunden nebeneinander existieren. Auch der kalifornische Komponist und Künstler Stephen Prina huldigt in seinen Werken einer negativen Ästhetik, die stark von Adorno beeinflusst ist. Wie kommt man von einem Bild zum anderen, und wie lässt sich ein non- hieararchisches Sehen organisieren, das perspektivisch dem Hören von Musik entspräche? Diese Fragen stellte sein Film „Vinyl 2“. Im Anschluss präsentierte Prina in einem Dia-Vortrag weitere Arbeiten – etwa seine an appropriation art angelehnten, simplifizierenden Piano-Interpretationen aller Beethoven-Sinfonien oder sein nachgebautes Arnold Schönberg-Institut, das sich nicht betreten lässt, aber dem Blick durch eingefärbtes, transparentes Vinyl Einlass gewährt. Drinnen ist Adornos Essay über den „Fetischcharakter des Musik und die Regression des Hörens“ aufbewahrt.

Über heutige Regressionen des Hörens hätte man in der anschließenden, von Diederichsen moderierten Runde mit Komponisten und Musikjournalisten diskutieren können. Doch zu steilen Thesen kam es kaum – nicht zuletzt, weil der Moderator selbst mit endlosen Übersetzungen ins Englische (für Prina) und einem autoritären Gestus jeden Gesprächsfluss hemmte. Immerhin skizzierte der Komponist Ekkehard Ehlers das Ideal einen negativer Musik, wie es bei Helmut Lachenmann verwirklicht sei: „Matte und stumpfe Töne, die einfach irgendwo in der Gegend rumliegen“ und nicht zu funktionalisieren seien. Um diesen Ansatz allgemeiner zu fassen, würde ich vorschlagen, negative Musik wie folgt zu definieren: negative Musik wäre diejenige, die sich in ihren Ausdrucksmitteln, und um in ihre Ziele zu erreichen, nicht einer bestehenden Macht assimiliert, die ökonomisch, ästhetisch, funktional, strukturell usw. gegeben ist. So gesehen müsste sich negative Musik als flexibilste von allen bzw. als sturste überhaupt erweisen – sie wäre entweder ein Programm, welches die sich ständig verschiebenden Macht- und Kommunikationsverhältnisse mitbedenkt und sich dagegen positioniert, oder aber eines, das unbeirrt auf einem Ideal beharrt. Recht hatte Ehlers allerdings auch mit der Bemerkung, dass noch die negativste Musik eine positive Wirkung entfaltet, wenn man sie laut hört und die
körperlich Dimension ins Spiel kommt. Dies demonstrierten die gerade mal 20jährigen Amerikaner von Black Dice am Abend – bei ihrem experimentellen Noise-Rock wehte der Geist von Velvet Underground durchs Schauspielhaus.

Als special guest konnte zuvor Christoph Schlingensief auf der Bühne begrüßt werden. Im Gespräch mit Diederichsen rechtfertigte er seinen künstlerischen Aktionismus gegen Jürgen Möllemann als medizinische Notwendigkeit für den Sozialkörper und verteidigte ihn gegen den theoretischen Gestus der „Kraft der Negation“ – das sei wie „Adorno auf dem Sofa“. Diese war tatsächlich in einer hochphilosophischen Fernsehrunde über Samuel Beckett von 1968 im Foyer zu sehen, in der Sätze fielen wie: „Optimistisch zu denken, ist kriminell“. Neben Adorno diente noch eine andere Figur modellhaft als Subjekt der Negation – Herman Melvilles Bartleby. Seiner existenzialistischen Verweigerung („I would prefer not to“), die unter heutigen Bedingungen eines knallharten, alle gesellschatlichen Bereiche durchdringenden Konkurrenz-Kapitalismus so luxuriös wie wünschenswert erscheint, wurde in einer ergreifenden szenischen Lesung von Ueli Jäggi gedacht.

Zu den nicht unbedingt zahlreichen Höhepunkten der Veranstaltung zählten die eher als Beiprogramm gedachten Filme und Installation, z.B. De Rijke/De Rooijs „Bantar Gebang“, dessen lange Einstellung auf ein indisches Slum genau mit der Ambivalenz von ästhetischer Anziehung und moralischer Verwerfung im Auge des Betrachters spielte. Und eine Zeit-Installation aus dem Umfeld von Ekkehard Ehlers, bei der die Militäreinsätze der USA seit 1990 auf die Zeitachse der dreitätigen Veranstaltung verteilt wurden und als kurze „musikalische Bomben“ die einzelnen Programmpunkte laut unterbrachen, wirkte gar wie ein Paradebeispiel politisierter Kunst. In einer rasanten Revue (samt Bühnenbild von Daniel Richter) erinnerte der Kölner Verein mit Zukunft schließlich an die Taktiken des Anarchismus. Eine schwarz verhangene Deutschlandfahne wehte über den Schreibtischen, an denen die inhaltlichen Konzepte des Anarchismus verlesen wurden. Hier türmten sich die Aporien auf: Heutige anarchistische Strömungen unter den Globalisierungsgegnern kämpfen immer gleichzeitig mit und gegen die visuelle Kultur der Medien; gleichzeitig sei zu fragen, ob sich nicht längst ein anarchistischer Kapitalismus durchgesetzt habe.

Wie die gegenwärtige Situation also überhaupt zu definieren sei, auf die sich eine Negation bezöge, blieb offen. Das thematische Wochenende endete mit einem der wenigen Konzerte der Berliner Band Mutter. Zu reduktionistisch-eindringlichem Heavy-Rock sang Max Müller: „Die Welt ist nicht gerecht zu dir, und sie sagt nicht Danke schön, für den Tag, den du ihr geben willst und die Nacht, in der du träumst.“ Das saß – und entsprach durchaus dem Gefühl, das viele Besucher auch von der „Kraft der Negation“ mit nach Hause und in die Disco nahmen.

SZ, 02.07.2002