Kraftwerk – Tour de France Soundtracks (Kling Klang/EMI) (Originalfassung)

Wollen wir, 17 Jahre nach dem letzten regulären und schon damals recht mediokren Album „Electric Café“, wirklich eine neue Kraftwerk-Platte hören, deren einziger Fortschritt darin besteht, sich Techno-Beats, Chill Out-Moods und die französische Sprache anverwandelt zu haben? Ist es nicht merkwürdig, dass Kraftwerk „Electric Café“ veröffentlichten, bevor Acid House, Techno und elektronische Musik ihren Siegeszug durch die 90er antreten sollten, und dass sie ausgerechnet jetzt, wo dieses Sound- Empire kollabiert und von einem neuen Paradigma abgelöst wird, mit einem neuen Album um die Ecke kommen? Warum erscheint das Markenprodukt „Tour de France Soundtracks“ ausgerechnet nach dem Ende der Jubiläums-Tour und nicht zu deren Beginn? Warum ziert das Album-Cover das gleiche, lediglich typographisch upgedatete Design, wie schon die „Tour de France“-Single von 1983 (!)? Warum haben Kraftwerk, international erfolgreichster deutscher Pop-Act und Modernisten erster Stunde, ausgerechnet jetzt die Post-Moderne entdeckt, wo ihr Staats-Begräbnisse erster Klasse zuteil werden? Soll das subversiv sein? Ein Revival? Warholsche-Konzept-Kunst?
Selbsreferentielle Historisierung? Glauben Kraftwerk ernsthaft, dass abgelutschte Medien- Begriffe wie „information, transmission, télévision“ wieder zu schillern beginnen, indem sie von der Kraftwerk-typischen Roboterstimmte auf französisch vorgetragen werden?
Will eigentlich jemand, wie im Interview mit dem Spiegel, immer noch Kraftwerks Menschmaschinen-Talk („die Maschinen spielen uns“) hören? Klang nicht schon die vor zwei Jahren als Auftrags-Arbeit veröffentlichte Kraftwerk-Single „Expo 2000“ wie eine Selbst-Parodie? Wenn Kraftwerk, wie stolz im Spiegel-Interview verkündet, sieben Tage die Woche in ihrem Kling Klang Studio verbringen, nicht nur, um zu musizieren, sondern um „Konzepte, Formeln und Denkmodelle“ zu entwickeln – was ist dabei in 49.504 Stunden rausgekommen?

StadtRevue Köln Magazin, 2003