Gabriele Klein/Malte Friedrich – Is This Real? Die Kultur des HipHop

Is this real? Die Kultur des HipHop. Von Gabriele Klein und Malte Friedrich. Frankfurt a.M., Edition Suhrkamp 2003. Taschenbuch, € 10,00.

Die Sugarhill Gang machte Rap vor knapp 25 Jahren weltweit bekannt. Wurde HipHop erst nur als Rapmusik wahrgenommen, sorgte die Popularität von Graffiti-Malerei, Breakdance und Sportswear-Mode schon Anfang der 80er Jahre für eine internationale Verbreitung der gesamten HipHop-Kultur. Anfang der 70er Jahre in den Ghettos der New Yorker Bronx entstanden, ist HipHop längst zur erfolgreichsten und wohl folgenreichsten Popkultur avanciert. Auf allen Kontinenten gibt es HipHop-Musiker; Mainstream-HipHop und R&B beherrschen die internationalen Musikkanäle; der white trash-Rapper Eminem verkauft die meisten Platten und füllt die Seiten der Feuilletons, während Underground- HipHop in den Musikmagazinen wie eh und je gefeiert wird. Deutscher Mittelstands- HipHop in den Charts, Rap als Sprachrohr für Migranten aus den Vorstädten, sogenannte Jams und Battles in Jugendheimen mitsamt absurden Phänomenen wie dem Nazi-Rap – auch hierzulande gibt es seit vielen Jahren unterschiedlichste Ausprägungen dieser ursprünglich US-amerikanischen Minderheiten-Kultur. Als popkulturelles Phänomen ist HipHop omnipräsent; nicht zuletzt dank unzähliger Fanbücher, Musik-Lexika und akademischer Veröffentlichungen scheint die HipHop-Kultur heute vollends ergründet zu sein. Kein Klärungsbedarf mehr. Just zu diesem Zeitpunkt der Wissens-Sättigung erscheint in Deutschland die erste wissenschaftliche Monographie über die Kultur des HipHop.

„Is this real?“ von Gabriele Klein und Malte Friedrich darf zu den besten Pop- Veröffentlichungen gezählt weden, die in letzter Zeit in der edition Suhrkamp erschienen sind. Die Hamburger Soziologin und der Berliner Kulturjournalist haben gründliche Arbeit geleistet. Auf der Basis aktueller akademischer Standards lassen sie in einer Feuilleton kompatiblen Sprache empirisches Material einfließen und glänzen ebenso mit Fach- und Szenewissen. Black Studies, Afro-American Studies und Cultural Studies liegen ebenso auf der Waagschale wie Bourdieu oder Judith Butler. Auch HipHop-Fans werden daran kaum eine peinliche oder verfälschende Akademisierung ihre Codes und Werte bemängeln können. Das liegt auch daran, dass Klein und Friedrich wohl den zentralen Aspekt aller HipHop-Inszenierungen untersuchen: „realness“ – die HipHop-spezifische Echtheitsprüfung.

Zitat 1:

„Über die permanente Vergewisserung dessen, was als echt und authentisch gilt, wird eine Differenz hergestellt, die nicht zwischen medialer Wirklichkeit und Lebenswirklichkeit trennt, sondern in beiden Wirklichkeiten zwischen Sein und Schein, zwischen dem So- tun-als-ob, der bloßen Darstellung und der auf lebensweltliche Erfahrung gegründeten Darsellung zu unterscheiden vermag. Gerade diese Grenzziehung zwischen real und nichtreal liegt quer zu den üblichen Unterscheidungen zwischen wirklicher und medialer Wirklichkeit. Sie schafft Differenzen innerhalb der einzelnen Wirklichkeiten. Und: Diese Grenzziehung stellt jene für die moderne Kulturtheorie zentrale Dichotomie von ‚wirklicher’ Wirklichkeit und medialer Wirklichkeit in Frage. Sie liefert die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung: Nur der im Bild oder auf der Bühne authentisch wirkende Rapper kann zum Vorbild für den eigenen Stil oder Lebensstil werden. (…) Die Realworld des HipHop ist eine theatrale Wirklichkeit, in der sich die Differenz zwischen Sein und Schein im Akt der Inszenierung von Authentizität performativ bestätigt.“

Klein und Friedrichs Argumentation mag an vielen Stellen redundant sein, und gelegentlich mögen sie allzu sehr in kulturtheoretische Diskurse oder Schilderungen von Szene-Ritualen abschweifen – dennoch gelingt ihnen eine vielschichtige Darstellung der HipHop-Kultur. Immer im Visier bleiben dabei die Formen der Aneignung. Klein und Friedrich sind nämlich der Auffassung, dass nichts der popkulturellen Debatte so sehr fehle, wie eine Kulturtheorie des Pop, die ihren Fokus auf die Konstitution von Praxis richtet. Über weite Strecken folgen die Autoren dabei Stuart Halls Encoding/Decoding- Modell, demzufolge medial erzeugte Produkte nicht unbedingt so entziffert werden, wie sie kodiert werden, sondern erst im Rahmen der eigenen Sinnwelt mit Bedeutung versehen werden. Mithilfe dieses Modells gelingt es auch, HipHop als ebenso konstrukivistische wie hybride Kultur zu konzipieren. Dies ist insofern wichtig, als dass selbst beim globalisierten HipHop von heute die mythische Ursprungserzählung des HipHop wirksam bleibt. Diese stellt die schwarze Ghettomusik als Original einer ethnischen Minderheitenkultur vor, der letztlich alle anderen globalen HipHop-Kulturen unweigerlich als Fälschung oder Abklatsch gegenüber stehen. Unter dieser Voraussetzung lässt sich aber nicht schlüssig beantworten, wie in all den non-afroamerikanischen Szenen trotzdem Authentizität hergestellt und „realness“ bezeugt wird. Da dem aber so ist, vertreten die Autoren folgende Thesen:

Zitat 2:
„HipHop ist eine hybride Kultur. (…) Über ein gelungenes Dazwischen im Spannungsfeld von Original und Adaption, Vorbild und Neugestaltung definiert die HipHop-Kultur Authentizität, die als zentraler Bewertungsmaßstab quer durch alle Szenen geht. Authentizität ist eine Herstellungspraxis, die sich performativ vollzieht. Die HipHop- Kultur ist eine glokale Kultur. Sie ist global verbreitet und besteht aus einer Vielzahl differenter lokaler Kulturen. Die HipHop-Kultur konstituiert sich über einen wechselseitigen Prozess von global zirkulierenden sowie medial vermittelten Stilen und Images einerseits und deren lokaler Neukontextualisierung andererseits. Lokale HipHop- Kulturen entstehen in und über global zirkulierende Bilderwelten und nicht, wie im Jugend- und Popdiskurs oft unterstellt, in Opposition zur globalen Kulturindustrie. Die HipHop-Kultur ist ein Beleg dafür, dass kulturelle Globalisierung nicht, wie in der Globalisierungsdebatte oft angenommen, automatisch zu kultureller Vereinheitlichung führt.“

Dass es sich bei HipHop weniger um eine Konsumenten- als um eine Produzentenkultur handelt, wird von Klein und Friedrich ebenso betont wie die Tatsache, dass er wertkonservativ, leistungsorientiert und männlich dominiert ist. In den letzten Buch- Kapiteln wird HipHop schließlich an einem breiten diskursiven Horizont ausgerichtet – zwischen Theorien zu Theatralität und Peformativität, Urbanität und Ritualität. Zu diesem Zeitpunkt hat der Leser aber längst begriffen, worum es bei HipHop in der Lesart von Klein und Friedrich geht. Erst gegen Ende wird es nochmal spannend, wenn die Autoren detailliert ausführen, wie sich kulturelle Aneignung leiblich vollzieht. Mit den typischen Bewegungen der HipHopper vor Augen kann man leicht nachvollziehen, dass die Regeln dieses popkulturellen Spiels im Körper abgespeichert sind. „Mimetische Identikikation“ lautet hier das Stichwort. Auf der Ebene des Körpers gehe es dabei weniger um die Nachahmung oder Reproduktion eines Normengefüges – hier also die von Afroamerikanern verkörpterte Realness – sondern um den performativen Akt der Neukontextualisierung und Aktualisierung. Dieser Vorgang erkläre, warum die Tradition des HipHop zwar immer fortgeschrieben, zugleich aber auch permanent aktualisiert werde. Mit ihrer konstruktivistischen HipHop-Theorie sind die Autoren letztlich fein raus. Denn unter verschärften Bedingungen in afroamerikanischen Ghettos gelten ja Rapper wie 50 Cent inzwischen erst als „real“ oder „street“, wenn sie mehrere Schüsse überlebt haben. Wo sich Realness also nicht mehr über Entertainment-Inszenierungen, sondern über ganz reale Verbrechensmerkmale definiert, tut sich allemal eine Grenze der Nachahmung auf: Schusswunden kann man sich nämlich nicht aussuchen. Aber selbst Nazi-Rap lässt sich mit Klein und Friedrichs These der Neukontextualisierung erklären. Wäre Nazi-Rap aber tatsächlich noch „real“? Widerspräche er nicht aufs Krasseste dem selbst bei globalisiertem HipHip immer noch wirksamen, afroamerikanischen Ursprungsmythos? Angesichts derartiger Aporien darf man getrost davon ausgehen, dass der Diskurs weitergeht: HipHop don’t stop. Fortsetzung folgt.